Im Seminar „Schwarze Romantik“,
das ich besuche, wurde uns Studenten vor kurzem folgende Frage zu Friedrich de
la Motte Fouqués „Undine“ vom Dozenten mit auf den Weg gegeben: Wie schafft es
die Logik der Erzählung, den Regelverstoß [Huldbrand darf Undine nicht auf dem
Wasser schelten] plausibel zu machen?
In der nächsten Sitzung wurde
diese Frage dann thematisiert und die unterschiedlichsten Lösungsansätze
vorgeschlagen. Besonders Kühleborn rückte dabei ins Zentrum der Diskussion. Ich
war ein wenig überrascht, da sich diese Erklärungsversuche so grundlegend von
meiner eigenen Antwort auf die Frage unterschieden. Die lautete wie folgt:
Gar nicht!:D
Um diese Antwort zu erklären,
hatte ich einige Fakten gesammelt, die ich hier kurz aufführen möchte.
Zunächst einmal muss man sich
klar machen, dass es unnötig ist, sich mit den seltsamen Auslassungen Fouques,
was Huldbrands Gefühle fort von Undine hin zu Bertalda betrifft, zu
beschäftigen. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Hin- und
Fortwendung absolut plausibel zu erklären wäre
es im Hinblick auf die dennoch nach wie vor bestehenden Fakten keine Rolle
spielt, den Grund hierfür liefert der Text selbst.
Ein wichtiger Fakt ist, dass
Undine, obwohl Huldbrand sie betrogen hat und ihrer Konkurrentin nachjagte(!), sie
selbiger und ihm das LEBEN GERETTET hat. Alleine das sollte unter den gegebenen
Umständen selbst beim schrecklichsten ignorantesten Menschen eine gewisse
Dankbarkeit hervorrufen. Nicht nur die Rettung an sich, sondern auch die
Umstände, die dazu führten. Diese Sichtweise wird auch vom auktorialen Erzähler
in keiner Weise bestritten, tatsächlich wird Undine aus den Augen ihres Mannes
eine „himmlische Güte“ (S. 98) attestiert, zudem wird beschrieben, dass
Huldbrands „Liebe und Achtung“ neu für sie erwacht (S. 98). Hinzu kommen
„Friede und Freude“, die auf der Burg allseits herrschen (S. 98). An dieser
Stelle kann man also mindestens von einer Zuneigung Huldbrands gegenüber Undine
sprechen.
Zu Beginn des entscheidenden Kapitels
15 beschließt dann Undine die Reise, um Bertalda eine Freude zu machen. Die
Reisegemeinschaft tritt die Reise anschließend mit „frischem Muth“ und
„heitersten Hoffnungen“ an (S. 99). Der Erzähler lässt dann folgenden Satz fallen:
„Wundert Euch aber nur nicht, Ihr Menschen, wenn es dann immer ganz anders
kommt, als man gemeint hat.“ (S. 100) Damit rechtfertigt er, wie bereits
mehrmals zuvor, eine erzählerische Lücke. Statt zu schreiben, was wichtig wäre,
um den Fortgang der Erzählung zu verstehen, beschreibt er Nichtigkeiten und
lässt das Wesentliche aus. An dieser Stelle liegt es für mich einfach zu Nahe,
dieses Verhalten auf die Unfähigkeit des Autors zurückzuführen, die folgende
Handlung zu erklären, bzw. plausibel herbeizuführen. Denn die entbehrt bei
Fouqué jedweder Logik.
Auf der Donau schützt Undine die
gesamte Gesellschaft vor Kühleborn und seinen Schergen. Als für Huldbrand,
geschürt durch die Bedrohung und das Misstrauen seiner Diener, langsam eine Art
Stress aufkommt, behauptet er sich selbst gegenüber in Gedanken, dass er vor
der Hochzeit nichts von Undines wahrer Natur gewusst habe (S. 100/101) und
rechtfertigt sich so. Der Gute scheint mit einem schwachen oder selbstgerechten
Gedächtnis ausgestattet zu sein, denn Undine hat ihn zwar nicht vor der
Hochzeit, aber durchaus vor ihrer Hochzeitsnacht
über ihre Herkunft aufgeklärt und ihm die Möglichkeit gegeben, sie zu
verstoßen. Das tat er nicht, stattdessen genoss er alle sexuelle Erfüllung mit
ihr – wieder und wieder. Mit anderen Worten: er allein ist schuld an der
aktuellen Situation, wenn man überhaupt einen Schuldigen brauchen sollte.
Huldbrand hatte dann nur eine einzige Aufgabe, auf die er in der
Vergangenheit und auch auf dem Boot wiederholt von Undine aufmerksam gemacht
wurde: ihr nicht auf dem Wasser zu zürnen. Er hat also die sexuelle Erfüllung erst genossen und kann sich dann nicht an diese winzige Regel
halten? Und wie kam es zu diesem Regelverstoß?
Bertalda spielt gedankenverloren
mit ihrer wertvollen Kette über dem Wasser, vor dem sie eigentlich Angst hat
(S. 102). Gehen wir mal davon aus, dass sie doof
wie Brot wäre, selbst dann wäre diese Handlung absolut unrealistisch
inszeniert. Bertalda ist an dem Verlust ihrer Kette selbst schuld, Huldbrand
ist somit grundlos und übertrieben zornig, beide verhalten sich wie kleine
Kinder. Undine bittet ihn noch einmal, sie nicht bloß zu stellen und er tut es
vorerst nicht, wenn auch aus unerklärten Gründen mühsam. Die Handlung, die ihn
dann doch noch zum fatalen Regelverstoß bewegt, ist noch unverständlicher.
Undine schenkt ihrer Konkurrentin, die ihr ihren Ehemann
wegnimmt, ein „wunderschönes“, „herrlich blitzend[es]“ „Korallenhalsband“, das sie ihr auch noch
freundlich und mit den Worten „Nimm hin, das hab´ ich Dir zum Ersatz bringen
lassen, und sei nicht weiter betrübt, Du armes Kind.“ reicht (S. 103) und
Huldbrand vergisst darüber (worüber?!)
alles und geht „wuthentbrannt“ auf Undine los?! Auf seine Schmährede folgt die
mitleiderrengende Beschreibung: „Starren aber thränenüberströmenden Blickes sah
ihn die arme Undine an, noch immer die Hand ausgestreckt, mit welcher sie
Bertalden ihr hübsches Geschenk so freundlich hatte hinreichen wollen.“ (S.
103/104), woraufhin sie ihren Abschied nimmt und Hulbrand „in heißen Thränen“
(S. 104) auf dem Bootsdeck endet?! – Armer Irrer!
Betrachtet man also das 15.
Kapitel, sowie die Vorgeschichte, kann man den notwendigen Regelverstoß nicht
logisch erklären. Ich bin normalerweise immer dafür, Handlungsentwicklungen
über die Erzähllogik irgendwie zu erklären, aber manchmal, und so auch in diesem
Fall, ist das einfach nicht möglich und man muss ein nicht erklärbares Ereignis
möglicherweise auf ein Versäumnis des Autors zurückführen. Fouqué bedient sich
eines alten, wunderschönen Stoffes, übernimmt viel von Paracelsus, Vulpius,
Hensler und Goethe, seine Eigenleistung hingegen lässt zumindest im zweiten
Teil der Erzählung stark zu wünschen übrig und wird dem Stoffkreis nicht
gerecht.
Verwendete Ausgabe:
Fouqué, Friedrich de la Motte:
Undine. [Originalausgabe 1811]. 2. Auflage. München: Deutscher Taschenbuch
Verlag 1999.
Literaturempfehlung, für alle, die
sich grundsätzlich für die Meerjungfrauen-Thematik interessieren:
Kraß, Andreas: Meerjungfrauen.
Geschichten einer unmöglichen Liebe. Frankfurt am Main: Fischer 2010.
[Rezension folgt in Kürze]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen